Sie sehen und hören ein Klavier von Eduard Seiler, das 1925 in Liegnitz gebaut worden ist. Das Instrument wurde längere Zeit nicht gestimmt. Dafür ist der Grad der Verstimmung relativ gering, was für die gute Stimmhaltung sowie für die kontinuierlichen Verhältnisse der Luftfeuchtigkeit am Standort spricht. Doch schon bei der Aufnahme vor der Stimmung fällt sofort auf, dass das Piano einen sehr schönen Klang hat. Das ist kein Wunder, schließlich hat es mit einer Bauhöhe von rund 130 cm einen großen Klangkörper mit entsprechend langen Saiten.
Der auffällig warme Bass motivierte mich, einen genaueren Blick auf den Resonanzboden unterhalb des Spieltisches zu werfen. Dabei fällt zum einen auf, dass der Bass durch eine Brücke in der Länge optimiert, jedoch die eigentliche Auflage des Bass-Stetes etwas weiter vom Rand entfernt auf dem Resonanzboden angebracht worden ist, wo der Resonanzboden besser schwingen kann als direkt am Rand. Zum anderen fällt auf dem Resonanzboden eine Abflachen am Rand auf, also eine Konstruktion ähnlich dem Membrano-Resonanzboden, der mit dafür verantwortlich gewesen sein soll, dass Seiler 2008 Insolvenz anmelden musste. Doch bei diesem Klavier von 1925 war das Stimmen überhaupt kein Problem, was für Pianos von Seiler keine Selbstverständlichkeit ist.
Wenn man sich schon unter dem Spieltisch befindet, lohnt sich ein Blick auf die Pedale. Wie so häufig zeigen auch die Pedale dieses Instruments das Muster eines polierten rechten und eines offensichtlich unbenutzten linken Pedals. Der Grund dafür liegt in der Konstruktion des rechten Pedals, bei dem der Hammerweg verkürzt wird. Leider hört man oftmals bei dieser Technik der Unterstützung des Leisespiels keinen oder nur einen sehr geringen Unterschied, so dass die Klavierspieler aufgegeben haben, dieses Pedal zu benutzen. Interessanterweise wird es aber bis heute genauso in alle Modelle aller Klavierhersteller weltweit weiterhin eingebaut. Meiner Ansicht nach kann man daraus ablesen, wie es insgesamt um die Klavierindustrie bestellt ist, die wie man bei Wikipedia im Zusammenhang mit der Insolvenz von Seiler lesen kann, weltweit Absatzschwierigkeiten hochwertiger Klaviere hat, aber nicht imstande ist, das scheinbare Schicksal abzuwenden.
Auch dieses Klavier ist somit prädestiniert, seinen inneren Reichtum zu zeigen. Denn die Gussplatte war früher für die Klavierbauer so etwas wie heute die Homepage, nämlich die Möglichkeit, intensiv Eigenwerbung zu betreiben. Der Nachteil besteht jedoch darin, dass kein Mensch außer dem Klavierstimmer ins Klavier hineinschaut. Dabei lohnt es sich, das feine Spielwerk bei der Arbeit zu sehen und eben die schön gestaltete Gussplatte zu sehen. Möglich ist das, indem man sein Klavier in ein Transparent-Piano mittels einer Platte aus Plexiglas verwandelt. Auch das Klavier aus dem Videobeispiel, das Sie unter diesem Link finden, ist so ein altes Klavier von Eduard Seiler. Offensichtlich waren sich die Erben dieser Besonderheit bewusst, denn diese Verzierungen der Gussplatte werden meines Wissens nach bis heute zumindest bei den hohen Klavieren von Seiler verwendet, die ja seit 2008 im Besitz des koreanischen Konzerns Samick sind.